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Dr. Herbert O. Zinell – ein Amtschef mit Feuerwehrhelm

Über 100 Tage ist er bereits im Amt als Ministerialdirektor: Die vergangenen Landtagswahlen katapultierten Dr. Herbert Otmar Zinell (SPD) vom Sessel des Schramberger Oberbürgermeisters direkt in das Innenministerium nach Stuttgart. Dort ist er nun direkter Dienstvorgesetzter für 450 Beschäftigte und zuständig für rund 45.000 Beamte in Baden-Württemberg. Der Ministerialdirektor, der von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kurz „MD“ genannt wird, hat an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg studiert. Christina Nickweiler besuchte für den Alumni-Newsletter Dr. Zinell in seinem neuen Amtssitz.

als ehemaliger oberster repräsentant der schramberger feuerwehr wurde der ministerialdirektor zu seinem 50. geburtstag mit einen feuerwehrhelm ausgezeichnet. heute schmückt der helm das amtszimmer von dr. zinell.
Als ehemaliger oberster Repräsentant der Schramberger Feuerwehr wurde der Ministerialdirektor zu seinem 50. Geburtstag mit einem Feuerwehrhelm ausgezeichnet. Heute schmückt der Helm das Amtszimmer von Dr. Zinell.
Newsletter: Vom Schramberger OB zum Ministerialdirektor. Wie haben Sie sich in Ihr neues Aufgabenfeld eingefunden?
Dr. Zinell: „Ich fühle mich hier im Innenministerium sehr wohl. Die Aufgabe ist aufgrund meines bisherigen Amtes als Oberbürgermeister und meiner Ausbildung wie maßgeschneidert für mich. Ich begegne hier politischen Themen, mit denen ich mich Zeit meines Lebens in unterschiedlichen Rollen befasst habe. Selbstverständlich stellt es für mich eine neue Aufgabe dar, in einer Landesregierung einem Minister zuzuarbeiten. Ein zusätzlicher Reiz liegt darin, dass ich in einer für das Land historischen Situation eingestiegen bin.“
 
Newsletter: Wie gestaltete sich Ihre bisherige Karriere?
Dr. Zinell: „Ich komme aus dem gehobenen Verwaltungsdienst und bin Diplom-Verwaltungswirt. Unmittelbar nach meiner Ausbildung an der Fachhochschule in Kehl beschloss ich, mich dem Jura- und Soziologiestudium in Freiburg an der Albert-Ludwigs-Universität zuzuwenden. Im Anschluss an mein Referendariat bin ich in die freiberufliche Anwaltstätigkeit gewechselt und habe mich zum Fachanwalt für Verwaltungsrecht weiterentwickelt. 1990 wurde ich im ersten Wahlgang überraschend zum Oberbürgermeister gewählt. Nach zwei Wiederwahlen folgte der Ruf des designierten Innenministers Reinhold Gall. Dem konnte ich nicht widerstehen.
Begleitet wurde die berufliche Karriere bis heute stets von meinem ehrenamtlichen Engagement in der SPD, aber auch in sozialen und kulturellen Einrichtungen.“
 
Newsletter: Was hat Sie bewogen, einst Rechtswissenschaften und Soziologie zu studieren?
Dr. Zinell: „Durch meine Ausbildung an der Fachhochschule in Kehl hatte ich bereits eine Affinität zu rechtlichen Angelegenheiten. Das Fach Rechtswissenschaft war mir somit nicht mehr fremd. Dass ich Rechtswissenschaft mit Soziologie verband, hing mit meinem politischen Engagement zusammen. Ein Fach wie Jura ist erst einmal trockener Ausbildungsstoff. Doch später im Beruf als Richter oder Anwalt hat man immer mit den Lebensumständen der Menschen zu tun. Wenn man soziologisch geschult ist, hat man einen analytischen Blick für gesellschaftliche Verhältnisse. Daher lag es nahe, meine beiden Neigungen in der Fächerkombination Jura und Soziologie zu verbinden.“
 
Newsletter: Warum haben Sie in Freiburg studiert?
Dr. Zinell: „Freiburg war der ideale Studienort für mich. Die Stadt liegt in der Nähe meiner Heimat Schramberg und übt mit ihrer Universität auf viele eine unwiderstehliche Ausstrahlung aus. Daher studierten auch viele meiner Freunde dort – auch meine jetzige Frau.
Außerdem genoss der Freiburger Professor Dr. Heinrich Popitz als Gründer des Soziologischen Instituts einen hohen Bekanntheitsgrad. Im juristischen Bereich war Professor Dr. Konrad Hesse, ein bekannter Verfassungsrechtler und liberaler Geist, für mich reizvoll. Es gab aber auch beeindruckende Namen in anderen Studienfächern.“
 
Newsletter: Was waren Ihre eindrucksvollsten Momente bei Ihrem Studium an der Universität Freiburg?
Dr. Zinell: „Das war das Geschehen um die Universität herum. Obwohl ich vom Alter her kein typischer ‚68er‘ war, inspirierte mich diese Bewegung. Ich kam ja von der kleinen, eher ruhigen Verwaltungsfachhochschule Kehl direkt nach Freiburg. Mich hat am meisten beeindruckt, was da politisch abging. Man konnte gar nicht soviel Hände haben, wie man Flugblätter in die Hand gedrückt bekam – etwa auf dem Weg zur Mensa. Die Proteste auf der Straße, die Diskussionen und die Blockaden vor den Hörsälen - das war eine sehr bewegte Zeit, die mit prägenden Erinnerungen verknüpft ist.“
 
Newsletter: Haben Sie noch Kontakt zu ehemaligen Studienkollegen?
Dr. Zinell: „Leider haben sich die Kontakte relativ schnell verloren, weil jeder seine eigenen Wege ging. Einige wenige Studienkollegen gibt es noch, zu denen ich regelmäßig Kontakt halte. Dank meiner neuen Tätigkeit treffe ich wieder vermehrt Leute, die ich Jahrzehnte lang nicht gesehen, aber mit denen ich zusammen an der Freiburger Uni studiert habe.“
Newsletter: Haben Sie für unsere Leserinnen und Leser eine heitere Anekdote aus Ihrer Studienzeit parat?
Dr. Zinell: „Ich erinnere mich an einen Richter namens Iltis, einen Strafrichter am Landgericht, der dichtete und seine Werke rezitierte. Er war für Justizkreise ein rotes Tuch. Iltis führte auch immer einen Spankorb mit sich, in dem er die Akten transportierte. Außerdem platzierte er jede Woche und für jeden sichtbar eine frische Rose an dem Fenster seines Dienstzimmers. Ab und an nehme ich mir noch heute seinen Gedichtband zur Hand und lese Zeilen wie: ‚Hier verknackt Sie Richter Iltis, der auf keinen Titel wild is‘.“
 
Newsletter: Sie studierten in einer Zeit, in der sich die Gesellschaft in einem merklichen Wandel befand. Was waren damals Ihre Träume und Vorstellungen von einer idealen Gesellschaft?
Dr. Zinell: „Es war in der Tat eine spannende Zeit: Wir jungen Leute hatten uns oft die ‚Systemfrage‘ gestellt.Unsere Antwort: Wir wollten nicht einen radikalen Umbruch, sondern Änderungen im bestehenden System. Wir hatten ein Ideal von einer Gesellschaft, die sozial gerecht ist und in der jeder Mensch eine faire Chance bekommt. Die von den 68ern beanstandete ‚antiquierte Gesellschaft‘ war im Begriff ihre Verkrustungen aufzubrechen. Als Beispiel nenne ich die Sexualität: Was heute als normal empfunden wird, war damals skandalös. Damals wurden Homosexuelle noch rechtlich verfolgt. Die Selbstverständlichkeiten von heute mussten vor über 30 Jahren erkämpft werden.
Damals diente uns die Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien als Vorbild. Wir traten für Emanzipation ein und wollten die Dinge selbst in die eigene Hand nehmen. Für diese Ideale engagierten wir uns und opferten unsere gesamte Freizeit.“
 
Newsletter: Inwieweit relativierten sich Ihre damaligen Träume und Vorstellungen?
Dr. Zinell: „Der jugendliche Idealismus hat sich in vielem relativiert. Nach heutigen Maßstäben waren manche politischen Ideen und Forderungen überzogen.Es ist eben einfacher, gesellschaftliche Veränderungen zu fordern, wenn man keine politische Verantwortung trägt. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass Ideen manchmal erst reifen müssen, bevor sie zur Abstimmung gebracht werden.
Rückblickend würde ich manches so nicht mehr mittragen. Als Pazifist habe ich schon damals etwa die Gewaltbereitschaft bei politischen Auseinandersetzungen bedauert. Deswegen sehe ich mit Entsetzen, was teilweise bei Stuttgart 21 passiert. Früher waren die politischen Auseinandersetzungen generell härter. Aber persönlich schleift man sich im Laufe der Zeit ab und entwickelt sich weiter. Nichtsdestotrotz: die 1968er haben die Gesellschaft auch in positivem Sinne verändert. Mich prägte außerdem die sozial-liberale Koalition unter Willy Brandt, der heute noch ein Vorbild für mich ist. Ohne diese Regierung hätte ich wahrscheinlich nie Jura studiert. Denn ich komme aus einem Arbeiterhaushalt, und das Bafög, als Errungenschaft der damaligen Koalition, motivierte mich nach meiner ersten Ausbildung zum Studium an der Universität Freiburg. Sonst hätte ich es mir wohl kaum leisten können.“
 
Newsletter: Welchen Tipp würden Sie einem Studienanfänger mit auf den Weg geben, der sich mit dem Gedanken trägt, Rechtswissenschaft oder Soziologie zu studieren?
Dr. Zinell: „Ich kann ihm nur empfehlen die spannende Fächerkombination Jura und Soziologie herzustellen. Angehende Juristen sollten sich in Begleitveranstaltungen rhetorisch schulen lassen und sich auch um psychologische Grundkenntnisse bemühen. Denn in der Praxis muss jeder Jurist Menschen einschätzen und auf Glaubwürdigkeit prüfen.“

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